TV auf hoher See

Sonntag, 10 März 2019

TNT ist Logo und Abkürzung für Trinidad 'n' Tobago, den südlichsten Inselstaat in der Karibik. Im 18. Jh. Sklaven-Hochburg, Ende des 19. Jhs. britische Kronkolonie, seit dem 20. Jh. unabhängige Republik im Commonwealth, sind TNT Schwestern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Trinidad hat 1.5 Millionen Einwohner, Tobago 60.000, in Trinidad wohnen die meisten der 35% Inder, in Tobago die meisten der 34% Afrikaner, nach Tobago kommt man, um Urlaub, nach Trinidad, um Geschäfte zu machen, denn Tobago hat Korallenriffe sowie eine tropische Fisch- und Vogelwelt, Trinidad reiche Bodenschätze wie Erdöl, Erdgas, Eisenerz und mehr, wovon die Ölraffinerien und Eisen- und Stahlhütten an der Westküste Zeugnis ablegen. So lag beispielsweise in 2017 die Erdgasproduktion bei 2.3 Milliarden Kubikfuß am Tag. Neue Plattformen und eine Unterwasserinfrastruktur sollen nun in 2019 fertiggestellt werden, um die Produktivität maßgeblich zu steigern. Gegenüber den daraus erhofften Gewinnen nehmen sich die aus den Agrargütern wie Zucker, Kaffee, Kakao, Tabak, Tropen- und Zitrusfrüchten sowie Muskatnüssen gering aus. Die großen Geschäfte werden natürlich in US$, nicht in TT$ („tities“) abgewickelt. Ein US$ entspricht sechs TT$, ein Euro acht TT$.

Tobago ist für uns das Blue Waters Inn an der Batteau Bay nahe Speyside, der Ostküste der Insel. Dort bleiben wir 6 Tage. Die Bay ist Privateigentum mit einem Gäste-Komplex von knapp 40 Zimmern, einem Jetty, einem Infinity Pool und einem 28 Grad warmen Jakuzzi einschließlich 5 Massagedüsen, der Jakuzzi abends, wenn beleuchtet, absolut spektakulär. Exklusiv ist der Platz auch, weil er von Regenwaldhügeln umgeben ist, wegen des vorgelagerten Korallenriffs, das feinste Tauch- und Schnorchelgründe bereitstellt, wegen Goat Island und Little Tobago als Mekka für Ornithologen, alle vier gleichermaßen Schutzwall für die Bucht gegen schweres Atlantikwetter. Man kann hier einfach in der Hängematte schaukeln, schnorcheln, tauchen, mit dem Glass Bottom Boat fahren, kajaken, Spaziergänge durch den Regenwald unternehmen, Vögel beobachten und fotografieren, im Dorf Speyside zu Mittag essen oder am hauseigenen Strand liegen, zum Ponton mit zwei Bänken mitten im Wasser hinausschwimmen und schließlich feine Rum Punches mit Angostura und Muskatnussraspel an der Bar schlürfen. Für uns ein kleines Paradies in den West Indies.

Mit Caribbean Airlines geht´s für 24 US$ p. P. nach Trinidad. Trinidad ist für uns die Northern Range und das La Casita, ein Airbnb-Holzhaus mitten im dichten Regenwald am Ende einer Dead End Road über der Maracas-Bucht gelegen. Dort kochen wir und frühstücken an der Sky-Bar mit Blick in den allgegenwärtigen dampfenden Urwald, schlafen in einem Hochbett unter den immergrünen, tropischen Baumkronen und wachen morgens von dem Geplärr einer Schar grüner Papageien auf. Atemberaubend. Die Northern Range ist die Verlängerung der venezolanischen Anden, die den Reisenden mit ihrer strotzenden Flora in den Bergen und den hochstämmigen Palmwäldern an den Küsten (#1, #2) begeistert. Die Hauptstadt von TNT ist Port of Spain, von Fort George aus, also von oben und mit grünen Avocados überdacht fotographiert.

Aber deshalb sind wir nicht hier. Wir sind auf die Kleinen Antillen gekommen, um uns da einem Törn zu den Inseln über dem Winde anzuschließen und dabei ein wenig Segelerfahrung zu sammeln. Wir heuern bei Michael Wnuk für die Crew 51 auf seiner roten 20 m langen Segelyacht Marlin an und sind geflashed von (fast) allem, was wir auf der Segelexpedition erleben. Hier die Marlin-Homepage für alle, die Außergewöhnliches erleben wollen: www.sy-marlin.de
Die Tour dauert 12 Tage, startet von Chaguaramas/Trinidad, endet auf Martinique und nimmt den Verlauf, den unser IT-Uli so schön dokumentiert hat. 300 Meilen legen wir zurück, sehen Grenada, Union mit Happy Island, die Tobago Cays, Canouan, Bequia, St. Vincent und St. Lucia. Zum Ausklang noch zwei Faschingstage in Fort-de-France, wo wir zentral in der Altstadt im L`Impératrice wohnen, dann über Barbados zurück nach Deutschland.

CREW 51
bestehend aus Skipper Jan, Verena, Tom, Dirk, Janet und Benjamin
Reisezeitraum: 16. bis 28. Februar 2019

Das Segelmagazin Yacht beschreibt in der Ausgabe vom 31. März 2018 das Phänomen des Erbrechens auf See wissenschaftlich: „Der Botenstoff Histamin gilt als Hauptauslöser …“. Histamin wird ausgeschüttet, wenn widersprüchliche Informationen auf die Sinnesorgane treffen, heißt, „wenn etwa das Innenohr als Gleichgewichtsorgan sowie die Mechanorezeptoren in den Muskeln und Gelenken Bewegung an das Gehirn melden, das Auge jedoch diese nicht wahrnimmt, etwa unter Deck oder auch an Deck, wenn das Auge Dinge fixiert, die sich anscheinend nicht bewegen, beispielsweise den Cockpitboden.“

Kotzen ist vom Prinzip her konsonantisch, wird aber von vokalischem Würgen begleitet, wobei der Vokal u eine große Rolle spielt, weil er am weitesten hinten in der Kehle gebildet wird, wo auch der Brechreiz heraufdrängt, sowie der Diphthong ö, heute noch im fränkischen Dialekt im Verb göggen geläufig. Das unkontrollierte Ausspeien von Konsonanten und Vokalen, die keinen Sinn machen, ist Vorbote einer nahenden konvulsiven Entleerung des Mageninhalts. Drei von uns fünf Gästen auf der „Marlin“ hängen buchstäblich in den Seilen, einer vor dem Törn, zwei am ersten Segeltag. Als natürliches Antihistamin nennt das Magazin Zitronen und Ingwer, erstaunlich rasch und effektiv wirkt ein Scopolaminpflaster, das hinters Ohr geklebt wird. Unsere Lust auf Abenteuer drückt die Übelkeit auch mit dem Willen hinab und macht uns im Nu „Seebeine“; aber auf der Testfahrt am Montag Abend vor Törnbeginn haben wir noch Heidenrespekt: Ogottogott. Wie sollen wir armen Menschenwichte dem mächtigen Wasser begegnen, wie es in seiner Kraft und Macht in Vergnügen transformieren, ...

Aber DESPACITO:
Jan, unser Skipper, geht das Pflichtprogramm „doucement“ an, was die Einweisung in die boots- und sicherheitsrelevanten Gegebenheiten angeht; und man mag gar nicht so genau wissen, was im Katastrophenfall abgeht. Schöner ist´s, Jan höchst ästhetisch als schwarzen Punkt am Mastende zu sehen oder als Turner im Seilgehänge des Bootes. Er als verantwortlicher Skipper für Material und Mensch befiehlt natürlich die Crew und ist der Boss. Auch die Verena muss gehorchen, obwohl sie doppelt so alt ist. Sie verliert sich nahe Carriacou am Steuer im Krängungrausch und in der Verdrängungsgischt und fährt eine Patenthalse. Na bravo, aber Jan bleibt souverän und schickt die über die Macht des herumschwingenden Groß Erschrockene gleich noch einmal ans Steuer. Man folgt einem so schönen roten Bartgesicht natürlich gern.

Schließlich geht`s los:
Nur gut die nächtliche Vollmondfahrt von Chaguaramas nach Grenada, wo auch die Kreuzfahrer anlanden und wo man Seeigel und gelbäugige Krabben sieht. Wecken um 1 h, zügig ohne Licht hinaus - man will ja nicht Überfallopfer von venezolanischen Piraten werden. Bereits in der Nacht grooven wir uns ein aufs Wellenreiten, auf die silbernen Wellenkämme und aufs Sternenzelt. Keiner von uns lässt das Erlebnis aus, alle stehen bis morgens an Bord, und immer mehr Adrenalin wird ausgeschüttet, bei wachsender Krängung von 20 bis 30 Grad durch Wellenberge und -täler von 3 bis 4 m noch einmal mehr (#1, #2, #3),

dann Happy Island, nahe Union Island mit der Kite Show, genial,

die Tobago Cays, Traum aller Karibikträume (#1, #2) mit prächtigen Pilz- und Fächerkorallen, aber vor allem Schildkröten, die vor dem Schaubegierigen völlig unaufgeregt herumturteln (#1, #2).

Sogar eine Goldmakrele, eine Mahi Mahi, hängt in kürzester Zeit an der Angel und landet nach der Filetierung durch Dirk in den Mägen der Crew. Nie im Leben haben wir einen so schönen und fangfrischen Fisch gegessen, wenn auch der Tötungsprozess martialisch-blutig war.

Die Pitons von St. Lucia sind auch im Drizzle eine Wucht, und wir genießen den ersten bedeckten Tag auf der Marlin - ohne Hitze und Sonnenschein.

In Martinique endet der Törn. Tschau, tschau, Marlin, tschau, tschau, Jan.

Summa summarum:
Jan,
du warst als Skipper absolut professionell, als Crewmitglied unaufgeregt, umgänglich und herzlich. Deshalb war die Mannschaft recht sentimental ob der Auflösung der angenehmen Gesellschaft am Donnerstag. Der kleine Schampus war ein adaequates prickelndes Danke für die schöne Zeit mit dir.
Dirk, Janet und Benjamin,
ihr wart für uns interessant, weil anders, witzig, im täglichen Miteinander unkompliziert und ohne jede Prüderie. Mit dir in der Küche zu stehen, zu kochen, abzuspülen und zu palavern, Janet, war eine Freude. Benjamin, auch wenn du oft bockig bist, kannst du sehr charmant sein; mit dir e bisserl Deutsch und Englisch zu üben, war durchaus anregend.

Natürlich war der Aufenthalt auf der Marlin keine Vergnügungsdampferfahrt, eher eine in jeder Hinsicht hoch aufgeregt-bewegte unvergessliche Lebensepisode, weshalb man sich freut, wenn die Marlin noch möglichst lange im Körper schiebt.